An eine Landschaft

An eine Landschaft Schlindwein Fotografie Gengenbach
An eine Landschaft Schlindwein Fotografie Gengenbach
An eine Landschaft Schlindwein Fotografie Gengenbach
An eine Landschaft Schlindwein Fotografie Gengenbach
An eine Landschaft Schlindwein Fotografie Gengenbach
An eine Landschaft Schlindwein Fotografie Gengenbach
An eine Landschaft Schlindwein Fotografie Gengenbach
An eine Landschaft Schlindwein Fotografie Gengenbach

Wild und weitgehend naturbelassen scheint die Landschaft der Altrheinarme zwischen Kehl und Meißenheim, Gräser, Gestrüpp, Geäst, Baumstümpfe, undurchdringliche Wucherungen, Flussarme, keine Wege, keine Menschen, keine Bauten. Doch das Ideal von urwüchsiger Landschaft ist von Spuren menschlicher Zivilisation durchsetzt: Schranken, Schilder, Telegrafenmasten, Stangen, die im Dickicht verborgen bleiben. Man muss schon genau hinsehen, um sie wahrzunehmen. Die Landschaftsfotografien von Daniel Schlindwein zeigen in subtiler Weise die Veränderung, die Störung des Idylls. Der Störfaktor im idyllischen Bild wird unterschwellig wahrgenommen, bevor der Blick ihn bewusst erfasst.

Landschaften haben schon immer die künstlerische Auseinandersetzung angeregt, in der Malerei und in der Fotografie. Ganz kürzlich erst, von Oktober 2009 bis Januar 2010, zeigte das Marta in Herford mit der Ausstellung „Pittoresk – Neue Perspektiven auf das Landschaftsbild“, welche Aktualität dem Thema im 21. Jahrhundert anhaftet und was Fotografie und Malerei voneinander lernen können. Die Autoren bestimmen in ihrer Einleitung zum Katalog das Pittoreske als Zusammenhang von Natur und Zeit: „So, wie eine bauliche Struktur nur pittoresk werden kann, wenn sie den Kräften der Natur ausgesetzt und dem Zahn der Zeit überlassen wurde, kann Landschaft nur pittoresk sein, wenn die natürliche Szenerie von ihrer idealen Einheit und reinen Struktur durch menschliches Eingreifen befreit wurde. Genau diese fortwährende, unberechenbare Dialektik zwischen Natur und Kultur bildet den ultimativen Nährboden für die pittoreske Ästhetik.“1 Damit wird der zivilisatorische „Störfaktor“ essentieller Teil der pittoresken, kulturell überformten Altrhein-Landschaft und zugleich essentieller Teil des Bildes, der „Störfaktor“ ist Grundbedingung.

Den Maler Georg Müller vom Siel interessierte schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Verhältnis von Landschaftsmalerei und Fotografie in formaler und ästhetischer Hinsicht. Fotografien dienten ihm als Vorlagen. Kompositorische Grundprinzipien der fotografischen Aufnahmen finden sich in seinen gemalten Bildern wieder.2 Für Daniel Schlindwein stellt sich die Frage andersherum. In welcher Weise lassen sich kompositorische Prinzipien aus der Malerei für die Fotografie nutzen? Welches Bild von Landschaft soll mit der Fotokamera dargestellt werden? Die urwüchsige Landschaft des Altrheins fasziniert Schlindwein, der in Gengenbach aufgewachsen ist, seit der Kindheit. So begibt er sich in die Landschaft, in das Dickicht, das er von innen heraus zeigt, in seiner Unmittelbarkeit, als Teil der Natur. In ihrer Direktheit leben die Fotografien von den Strukturen des Dickichts. Schlindwein ist nicht der stille distanzierte Beobachter, sondern der involvierte Teilhaber. Über die dokumentarische Ablichtung hinaus entsteht ein eigenständiges, erlebtes Bild, das bildlichen Gesetzen gehorcht. Kompositorische Elemente wie Vordergrund und Hintergrund, Linienverläufe, dann helle und dunkle Partien, farbliche Akzente übernehmen die Hauptrolle und sind Ausdruck von Gestaltung ohne digitale Nachbearbeitung, Gestalten durch Erfassen. Die Kameraperspektive, die Wahl des Ausschnitts und die Berücksichtigung der Lichtverhältnisse spielen in Schlindweins Aufnahmen untrennbar zusammen. So ist es kein Zufall, wenn ein einzelner Pappelstamm dort hervorragt, wo der Lichtschein im Hintergrund wie eine Gloriole wirkt und das Singuläre noch hervorhebt. Mit der Kameraperspektive lässt der Fotograf auch den Betrachter teilhaben, nimmt ihn in die Landschaft mit hinein, der Vordergrund ist nah, der Blick in die Weite wird vermieden, einen Horizont gibt es in diesen Landschaftsaufnahmen nicht. Genau diese Auffassung bewirkt die Unmittelbarkeit, das Eins sein mit dieser Landschaft. Die farblichen Differenzierungen durch das Licht werden bewusst ins Kalkül gezogen, wie nicht allein die Gegenlichtaufnahme des Ufersaums über das stille Wasser hinweg zeigt. Die farblichen Akzente sind oft nur minimal, das Rot auf einem Schild oder der Bemalung einer Schranke, das grüne Fleckchen einer Pflanze, die durch das Dickicht schimmert. Trotzdem erzeugen die farblichen Akzente große Wirkung hinsichtlich des Verhältnisses von Teil und Ganzem, hinsichtlich der Differenzierung im Bild.

Wenn Daniel Schlindwein diese Aufnahmen in seiner Diplomarbeit, für die sie entstanden sind, mit den Worten „An eine Landschaft“ überschreibt, so ist dem nichts hinzuzufügen.



Text von Dr. Susanne Ramm-Weber, Kunstwissenschaftlerin und Slavistin, Offenburg

ramm-weber@t-online.de

1 Marta Herford, Steven Jacobs, Frank Maes (Hg.): Pittoresk. Neue Perspektiven auf das Landschaftsbild. Ausstellungskatalog. 2009, S. 11.
2 Küster, Bernd: Vom Umgang des Künstlers mit der Fotografie. In: Ders. (Hg.): “Ich sehe eben anders”. Fotografie in Nordwestdeutschland im 20. Jahrhundert. Bremen 2006, S. 34.